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Ein Blick auf die Uhr. 11:40 vormittags. Ein Blick auf die ungelesen Mails in Outlook. 129 an der Zahl. Ein Blick in den schlecht gepflegten Terminkalender. Resümee: Das wird nichts mehr. Kein vorgezogener Feierabend heute.
Dabei ist heute Abend Premiere. Die traurige Trennungsbude ist nunmehr so weit hergerichtet, dass sie nicht mehr wirkt wie der Abstellraum in der Kommune 1. Es wird wohnlich. Das schäbige Ratenzahlungssofa steht. Ein Teppich macht das Wohnzimmer gemütlich. Ein uralter 100 Watt-Fernseher lädt zu flimmernder Lebenszeitverschwendung ein. Es ist Premierenabend. Ein Kumpel kommt vorbei.
Auf zwei, drei Bierchen. Und da sich kurz nach einer Trennung empfiehlt, keinen Alkohol im Haus zu haben, außer jenen, der die eingebrannten Verlusttränen isopropanesk aus Klicklaminat herausbrennen kann, ist kein Bier vorhanden. Der Plan war, es auf dem Heimweg mit ein wenig arbeitszeitverkürzendem Vorlauf beim Kaufmann des Vertrauens zu erwerben. Die angedachte Verkürzung des heutigen Entgeltabenteuers scheitert aber voraussichtlich an der Masse unaufschiebbarer Nebenquests. Also muss eine Alternative her.
Trotz der werktäglichen Bildschirmarbeit war mir fast entfallen, dass wir in der Zukunft leben! Diesem Umstand und den unverhohlen innovationsfördernden Aspekten einer gewissen Pandemie sei Dank kann sich der Almannormalverbraucher mittlerweile Getränke kistenweise bis nach Hause liefern lassen! Liederkosten? Existieren. Aber heute lautet mein fünfter Vorname Gönnjamin. Flink geklickt und fernbezahlt, am Horizont der Hopfen strahlt. Die Lieferzeit großzügig gewählt, auf das ich Zuhause sein werde, um die Lieferkraft und die Ware gastfreundlich zu empfangen. Und kurz darauf den durstigen Kumpel. Drei Kisten bringt der Kutscher, eine davon Bier.
Und so vergehen unmußige Stunden, bis endlich das Befreiungspiepen am Zeiterfassungsterminal erklingt. Auf halber Strecke nach Hause klingelt unverhofft mein Mobiltelefon. Eine Nummer, die sich nicht unter meinen gespeicherten Kontakten wiederfindet. Der obligatorische Telefonautist in mir sträubt sich, das Gespräch anzunehmen. Wäre da nicht die Sache mit der Getränkebestellung.
»Ja Hallo, Geruchsbrote am Apparat.«
»Ja Moin, Getränkemensch hier. Ich stehe vor Ihrer Tür aber Sie öffnen nicht.«
»Oh verdammt, Sie sind früh dran. Ich bin noch nicht Zuhause.«
»Und jetzt? Nachbarn?«
Ich denke an Herrn Greismann. Er begrüßte mich am Einzugstage missmutig und mit trainierten Rentnerblick mit der Frage, ob ich 'der Neue' sei. Als ich bejahte, entgegnete er nur, dass er hier schon seit 50 Jahren wohnen würde. Okay, Herr Greismann. Sie haben ihr Revier geschickt markiert. Nein, ich bürde diesem Mietveteran keine Last junger Leute auf. Auch weil ich befürchte, dass er dem Schimmern von Hopfengetränken nicht widerstehen könnte. Frau Knastfaust-Kugelbruch? Besser nicht. Sie wird sicherlich sowieso noch beim Bäcker abhängen und mit den anderen Ommas über den allgemeinen Sittenverfall und die neuesten Todesfälle im Viertel sinnieren. Tja.
»Öhm, stellen Sie die Kisten doch bitte einfach vor die Haustür. Dürfen Sie das? Geht auch auf meine Verantwortung. Bin in 30 Minuten Zuhause.«
»Einfach vor dir Tür? Hier an der Straße?«
»Ja.«
Stille am Ende der Leitung. Und dann folgt sie. Die Antwort, die mich dazu motivierte, diesem Vorkommnis diese vorliegenden respektvollen Zeilen zu widmen.
»Aber... Da ist auch ne Kiste Bier dabei.«
Welch angenehme Sorge um das Hauptgetränk dieser Lieferung! Was für ein Ehrenkutscher! Ich bin zutiefst entzückt, auch wenn ich mich ein wenig boomerig fühle. Wahrlich, dem jungen Mann ist nicht bekannt, dass mir der heutige Abend eine emotional diffuse, aber trotzdem irgendwie notwendige Zäsur sein wird. Das Herz hängt nicht mehr in den Kniekehlen sondern ist mittlerweile schon wieder bis zur Sacknaht emporgeklettert. Der Schock über die plötzliche Beendigung aller anno prä-Trennung angestrebten Lebensziele ist abgeklungen, wie die Angst des Durchschnittsalmans vor dem grünen Teufelsbroccoli. Es ruckelt sich alles ein, ganz allmählich. Es wird. Das dünne Ästchen 'Zeit heilt', an dem ich mich die letzten Monate festgeklammert hatte, trägt endlich erste Blüten. Der Mut, sich einem Bier hinzugeben, ist wieder da. Eiderdaus, am Ende des Tunnels leuchtet es.
All das ermöglicht mir der Ehrenbote. Der Ährenbote. Danke, für die Mitsorgen. Und sorry, dass ich nicht da war, um die ein Wort der Anerkennung zukommen zu lassen. Aber irgendwann muss ja nachbestellt werden. Zumindest, weil der Pfand weg muss. Und wer weiß, vielleicht lass ich dann irgendein Getränk draußen vor der Haustür stehen, guter Mann.
Ach, übrigens: 30 Minuten später war alles noch da. Wasser. Mate. Bier. Mein Glauben an die Menschenheit ist für ein paar Tage vollumfänglich wiederhergestellt. Vorübergehend.
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