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In diesem Artikel https://www.reddit.com/r/Klimawandel/comments/186nkqp/monitoringbericht_der_bundesregierung_erschienen/ warf u/intelligent-worker91 die Frage auf, ob sich das Klima in der Vergangenheit nicht stärker verändert hat, als wir üblicherweise anerkennen. Er verwies dann als Beleg auf den Artikel eines gewissen Dr. Koelle. Ich habe mir das mal angeschaut und habe mal nachgelesen, was der IPCC dazu sagt. Ich dachte, mein Ergebnis ist vielleicht auch für andere interessant, darum kopiere ich hier mal meinen Kommentar hinein:
Dr. Koelle, der beim Klimaskeptiker-Verein EIKE aktiv zu sein scheint. Na, schauen wir mal, was der zu sagen hat... Leider ist bei diesem Artikel das deutsche Original nicht zu finden. Also muss ich drauf vertrauen, dass die Übersetzung so stimmt und auch keine Infos verloren gegangen sind.
Das ist hier allerdings ein zentrales Problem bei dieser Quelle: Keine einzige Aussage oder Abbildung im Text ist mit einer klaren Quelle unterlegt, die man prüfen könnte. Bzw. mit der man prüfen könnte, ob der Autor die Quelle korrekt wiedergegeben hat. Insbesondere bei Figure 2, auf die Du vermutlich anspielst, würde mich eine Quelle interessieren. Dass diese nicht angegeben ist, muss sehr stutzig machen bei einem Artikel, der Wissenschaftlichkeit suggeriert.
(Unter dem Text sind Quellen angegeben, ich weiß. Ich müsste die jetzt einzeln durchgehen um herauszufinden, woher denn Fig. 2 her kommt. So macht man das in der Wissenschaft aus guten Gründen nicht, denn viel zu aufwändig und daher intransparent, siehe die Studien weiter unten mit hunderten bis tausenden Quellen.)
Von daher bleibt die Frage nach einem belastbaren Beleg für Deine Hypothese mit der warmen Antike offen. Aber ich habe die aufgeworfene Frage mal zum Anlass genommen, mir das im letzten IPCC-Bericht noch mal näher anzuschauen. Und das ist spannend und es stellt sich heraus, dass es vor 4.000 Jahren offenbar tatsächlich ziemlich warm war auf der Erde. Das war aber vor dem römischen Reich.
Relevant ist hier der 2.500-Seiten starke Bericht der Arbeitsgruppe 1, den Du hier findest: https://www.ipcc.ch/report/sixth-assessment-report-working-group-i/. In Kapitel 2 geht unter anderem um die Rekonstruktion des Klimas der Vergangenheit. Interessant für unsere Frage ist Abbildung 2.11 (https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/downloads/figures/IPCC_AR6_WGI_Figure_2_11.png):
Relevant ist der obere Bereicht, für die Zeit des römischen Reichs insbesondere der linke (blaue) Bereich. Dargestellt ist ein Bereich der möglichen Temperatur-Verteilung - die obere und die untere Grenze sowie der Mittelwert, der für den AR 6 letztlich verwendet wird. Man sieht hier verschiedenes interessantes:
- In der ferneren Vergangenheit (ca. 4000 v.C.) weisen viele Indizien auf eine recht hohe Temperatur hin.
- Allerdings liegen die Schätzungen für diese Periode gut 1 Grad auseinander.
- Der obere Rand der Schätzungen entspricht ungefähr der heutigen Temperatur.
Schauen wir uns das genauer an. Die Datenquellen finden sich im "Supplementary Material" zum Kapitel 2: https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/downloads/report/IPCC_AR6_WGI_Chapter02_SM.pdf Figure 2.11a (a für den oberen Bereich) ist als Quelle Kaufman et al (2020a, b) angegeben. Laut Quellenverzeichnis weiter hinten handelt es sich um diese beiden frei zugänglichen Veröffentlichungen:
https://www.nature.com/articles/s41597-020-0445-3 (30.4.20 erschienen) und https://www.nature.com/articles/s41597-020-0530-7 (30.6.20)
In der ersten Publikation beschreiben sie die Datenbank von weltweiten paläoklimatologischen Records (Datenpunkte). Diese umfasst 1.319 Datenpunkte von 679 Orten (jeweils belegt mit einer konkreten wissenschaftlichen Studie, siehe das Quellenverzeichnis der Publikation mit mehr als 500 Einträgen). Die Arten der Datenpunkte sind: "lake sediment (51%), marine sediment (31%), peat (11%), glacier ice (3%), and other natural archives" - also eine Reihe unterschiedlicher Verfahren kamen hier zum Einsatz.
In der zweiten Publikation haben sie diese Daten dann ausgewertet und haben versucht mit verschiedenen Methoden das Klima der Periode 10.000 v.C. bis heute (12.000 Jahre) zu rekonstruieren (verschiedene Verfahren >> verschiedene Linien). Man kommt auf einen Schwankungsbereich, so wie er auch in der AR 6-Figure 2.11 dargestellt ist. In Figure 3 der Veröffentlichung (Link) wird dann die Schätzung für die globale Temperatur in ihrer Schwankungsbreite dargestellt, wie sie dann auch in den AR 6 einfloss:
Das ist nun die wissenschaftliche Datengrundlage für den neuesten IPCC-Bericht AR 6. Alles sauber nachvollziehbar, klare Aussage: Man weiß nicht genau, wie das Klima vor 2.000 oder 4.000 oder 12.000 Jahren war, aber man kann es mit einem gewissen Schwankungsbereich abschätzen (der für mich unerwartet groß ist).
Da kann man nun schauen, ob die Forscher da Fehler gemacht haben: Haben sie Daten unzulässig ausgeschlossen? Sind ihre Modelle falsch? Und natürlich gibt es auch wissenschaftliche Diskussion darum (verschiedenes wird im AR 6 vermutlich auch dargestellt), die Wissenschaft entwickelt sich weiter und im nächsten Bericht wird es hier vermutlich ein Update mit besseren Daten und Methoden geben.
Der Punkt, bei dem ich hier hinaus will: Die Wissenschaft ist offen für Kritik. Diese muss den Stand der Wissenschaft aber anerkennen, sich damit auseinandersetzen. Und das tut Dr. Dietrich Koelle nicht wirklich, der Autor des von Dir verlinkten Artikels. Der hat nie selbst in der Klimawissenschaft geforscht, sich also nie mit den dort angewandten Methoden beschäftigt, kann damit gar nicht wirklich einschätzen, ob die Methoden sinnvoll sind oder nicht. Stattdessen greift er sich einzelne Hypothesen heraus und behauptet, diese im Vergleich doch recht schlichten Hypothesen könnten das Klima besser erklären. (Nebenbei bemerkt sind die Temperaturen seit 2015, als dieser Artikel erschien, ja deutlich weiter gestiegen. Wie passt das wohl in seine Annahmen?)
Nun könnte man sagen: Beschäftigt sich die Klimawissenschaft denn mit den Argumenten der Kritiker? Natürlich tut sie das! Ob Temperatur- oder Sonnenstrahlungs-Zyklen usw. die Entwicklung der Temperatur der Atmosphäre erklären können, das lässt sich ja prüfen. Teilweise wurde festgestellt, dass solche Zyklen tatsächlich relevant sind, siehe bspw. Abschnitt 2.3.1.4.2, wo beschrieben wird, wie mehrtausendjährige Orbit-Zyklen sich auf den Monsun auswirken. Das wird in die Klimamodelle dann aufgenommen. Oder such im WG-1-Bericht mal nach "Solar Cycle": Gibt eine Reihe von Fundstellen, wo beschrieben wird, wo sie tatsächlich Relevanz haben. Sollten dort aber neue, starke Erkenntnisse aufkommen, würde die Community das sicher (früher oder später) prüfen und ggf. in Modellen aufgreifen.
So funktioniert Klimawissenschaft. Es gibt keine Klimawissenschaftler-Verschwörung. Alle wollen das Klima noch besser verstehen, damit wir besser wissen, was uns blüht und wie wir vermeiden können, was uns blüht.
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