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Viele Worte zu finden, um den anreizgebenden, wenigen, skandalösen Worten adäquat etwas entgegenzubringen, ist gar nicht mal so einfach. Es fällt bisweilen nicht so schwer, auf entsprechende Äußerungen kurz angebunden zu reagieren. Und dabei kommt man meist auch schneller zum Punkt. Dem anreizgebenden Satz, den wir am Ende dieser Ausführungen betrachten wollen, hätte man also auch ein einfaches "Was zum Fick?" entgegnen können. Oder ein "Entschuldigung, was?". Alternativ mag auch ein "Sie sind ein Arsch, euer Ehren" angebracht gewesen sein. Aber viele Worte setzen das Geschehene in Relation und in einen Kontext, der die Einladung zur kurzen Aggressionsäußerung vielleicht nachvollziehbarer macht. Ich möchte mich im Folgenden daran versuchen:
Mir kann hoffentlich nachgesehen werden, dass ich aus unterschiedlichen Gründen einige Punkte der wahren Begebenheit in ein X-Faktor-eskes "Es hat sich ungefähr so zugetragen, exakt zwischen 1500 und 2022 nach Christus in einem Land auf dem Planeten Erde" umwandeln muss. Und die Details sind tatsächlich nicht so relevant, wie man zunächst glauben mag.
Im Rahmen eines vertraglich festgehaltenen Erwerbstätigkeitsabenteuers in Vollzeit, dem ich einst nachging, arbeitete ich mit einer Kollegin zusammen, die in einem Land im nahen Osten geboren wurde und ihre schulische und akademische Ausbildung hier in Deutschland absolvierte. Unsere Entgeltqueste bestand unter anderem darin, Menschen zu beraten und zu versorgen, die in Deutschland Asyl beantragt haben. Gerade für KollegInnen mit Migrationshintergrund ist es gelegentlich recht herausfordernd, ein professionelles Verhältnis von Nähe und Distanz gegenüber KlientInnen zu vermitteln, die aus dem selben Herkunftsland stammen. Ich fand das immer gut nachvollziehbar. Stellt euch vor, ihr wandert nach Mallotze aus und arbeitet in irgendeinem Bereich der Betreuung oder Beratung von geflüchteten Menschen. Nun habt ihr unter anderem auch mit geflüchteten Deutschen zu tun. Mit Durchschnittsdeutschen. Was passiert dann? Richtig. Vokuhila-Kalle lehnt sich über euren Schreibtisch und nuschelt euch zu "Hömma, wir sind doch Landsleute. Du kannst da für uns doch was drehen oder nicht? Mach mal beste Lösung für uns klar, wir wärn dir echt dankbar". Oder Beamten-Uwe setzt sich im Stuhl plötzlich stocksteif hin und entgegnet dir, nach Zurechtrücken seines Pollunders: "Ihrem Dialekt entnehme ich, dass Sie aus dem volkstümlich als solchen bezeichneten Ruhrpott stammen. Nun ist es so, dass ich dorthin noch viele gute Verbindungen pflege. Auch in diverse Stellen der Verwaltung. Was sagen Sie, wenn ich Ihnen verspreche in wenigen Minuten herausfinden zu können, wo Ihre Familienmitglieder wohnen? Ob Sie Sozialleistungen beziehen oder ob das Finanzamt vielleicht mal genauer hinschauen möchte, ob alles ordentlich angegeben wurde? Verstehen Sie? VER-STEH-HENNN SIE? Ich bin sicher, dass Sie mir und meiner Familie hier sehr ZUVORKOMMEND helfen möchten, nicht WAHR?". Ja, so spielt es sich gelegentlich ab. Und es ist unterschiedlich ernst zu nehmen.
Meine Kollegin geriet eines Tages in eine Situation, die äußerst ernst zu nehmen war. Einige Staaten im nahen Osten kann man nicht unbedingt als politisch stabil bezeichnen. So auch ihr Heimatland. Ein Klient outete sich nach kurzer Zeit als stolzes Mitglied einer politischen Organisation, die in Bezug auf ihre Anerkennung durch die EU als Terrororganisation eine On/Off-Beziehung pflegt, wie mein demenzerkrankter Opa mit polnischen Pflegekräften. Und das tat der Herr nicht ohne Absicht. Denn er teilte meiner Kollegin unverblümt mit, dass sie seiner festen Überzeugung nach eine Spionin des Heimatregimes wäre, die in Deutschland stationiert sei und Geflüchtete identifizieren und melden solle. Dass sie eine Hure sei. Dass sie ihr Land verraten hätte. Dass er ausgeprägte psychologische Skills hätte und Spione sofort erkennen würde! SOFORT!
So weit, so alltäglich. Leider. Dieser Mann eskalierte aber schnelligst. Er tauchte immer und immer wieder auf. Er hetzte andere Geflüchtete gegen meine Kollegin auf. Irgendwann tauchte nicht nur er auf, sondern mit ihm auch Flugblätter, die auf eine Website verwiesen auf sie namentlich benannt wurde. Briefe an Behörden, in denen er vor ihr warnte. Und irgendwann auch Fotos von ihr. Die er aus sozialen Netzwerken geklaut hatte. Und irgendwann mit Fotos, die er heimlich von ihr gemacht hat, an ihrem Arbeitsplatz. Und die Krönung: Er tauchte irgendwann mit ZUTREFFENDEN, nicht öffentlichen Informationen auf, die ihre Familie in ihrem Heimatland betrafen.
Ja, wir reden von so einer schnelligsten Eskalation. Die zunehmend ernster wurde. Was macht man also, wenn man um Hilfe gebeten wird von jemandem, der zwar seit einigen Jahren in Deutschland lebt, aber insbesondere durch entsprechend negative Erfahrungen mit korrupten Behörden und gewalttätigen Exekutiven nachvollziehbare Berührungsängste mit Polizei und Justiz hat? Zur Polizei gehen, eine Anzeige stellen, versuchen die Website abschalten zu lassen.
Die Machtlosigkeit deutscher Behörden, Verleumdungen und üble Nachrede auf Websites, die nicht in Deutschland gehostet werden, zu unterbinden, ist allgemein bekannt. Ich könnte hier noch herzhaft ausrasten, aber ich überlasse den LeserInnen dieser Ausführungen das Kopfkino. Stattdessen machen wir einen Zeitsprung, denn die Mühlen der Justiz mahlen noch langsamer, als dass die Notwendigkeit des Energieparens sich in die Köpfe der Bevölkerung der BRD einhämmern lässt.
Am Ende des Zeitsprungs stehe ich vor einem Amtsgericht. Es ist Verhandlungstag. Strafsache. Dem besagten Klient, mittlerweile in einer anderen Kommune ansässig, soll u.a. wegen übler Nachrede der Prozess gemacht werden. Ich bin als Zeuge geladen. Ich habe alte Mails ausgedruckt und alte Screenshots von der Website mitgebracht, wähne mich gut vorbereitet. Wir warten vorm Gerichtssaal. Und warten. Und warten. Dann geht die Tür auf, wir werden hereingebeten. Der Richter bittet uns, Platz zu nehmen. Er führt aus, dass der Angeklagte bisher nicht erschienen ist und wir schon 30 Minuten über der Zeit sind. Wir warten noch 5 Minuten, dann lässt er alles nötige protokollieren und schließt die Sitzung. Meine mittlerweile ehemalige Kollegin fragt, wie es nun weitergeht. Und was sie jetzt tun kann, weil sie sich nach wie vor bedroht fühlt und Angst hat, auch wenn der Mann nun weit weg wohnt. Ich frage, ob das Gericht Beweise von der Polizei bekommen hat oder ob ich meine mitgebrachten Dokumente vorlegen darf. Nö, kein Interesse. Bezüglich der Anliegen meiner Kollegin fragt der Richter, ob wir (Achtung, Auslöserwarnung) schon den Betreiber der Website angeschrieben haben. Ja, mehrmals. Er fragt, was das nochmal für eine Organisation wäre, bei der dieser Kerl Mitglied wäre. Meine Kollegin klärt auf und gibt ein wenig kulturellen, geschichtlichen und politischen Hintergrund dazu. Ich frage mich ernsthaft, ob der Richter sich überhaupt auf irgendwas vorbereitet hat. Ob er weiter blicken kann, als bis zum "A hat böse, rufschädigende Dinge über B öffentlich mitgeteilt, was strafbar ist"-Tellerrand. Fick nein, kann er nicht.
Und nun, liebe Freunde der gepflegten Ausführlichkeitseskapaden, kommen wir zum Klimax dieser wertenden Schilderung. Ich frage nochmal, wie es nun weitergeht. Der Richter teilt uns abgebrüht mit, dass ein Bußgeld verhängt wird und man einen neuen Prozesstermin vereinbaren wird. Ungefragt fügt er hinzu, dass der Kerl dann aber wahrscheinlich wieder nicht kommen wird. Ich frage, ob bekannt ist ob er sich überhaupt noch offiziell in Deutschland aufhält. Der Richter weiß es nicht. ALLEIN DAS SCHON. Wie kann man das nicht WISSEN, als RICHTER? MAN, in meinem damaligen Job wäre das EIN ANRUF oder EINE MAIL bei der richtigen Stelle gewesen, und ich hätte diese Auskunft BEKOMMEN. Wieso macht ein GERICHT SOWAS NICHT IM VORFELD?! Aber dann. Dann kommt es. Die Apokalypse der kulturellen Kompetenz. Der Empathie-Super-GAU. Der Höhepunkt, auf den ihr gewartet habt, wie Prinz Charles auf die Zeitlichsegnung seiner Mutter.
Auf das abschließende, hilflose "was soll ich denn jetzt machen?" meiner Kollegin folgen die ausschlaggebenden wenigen Worte. Führt euch vor Augen, dass sie noch nie vor einem deutschen Gericht saß, extremen Respekt vor dieser Institution hat und sehr unsicher ist, was ein angemessenes Verhalten in so einer Situation ist, gleichsam aber auch eine große Hoffnung hat, dass hier Gerechtigkeit stets obsiegt.
Die mit einem überdeutlichen Stammtisch-Schmunzelgesicht vorgetragenen Worte des Richters lauten: "Ja hören Sie doch einfach auf, Ihre Landsleute auszuspionieren!"
HA HA HA! HAAAA HA HA HA! LUSTIG! Lus-TIG!
SCHMATZ MIR DOCH DEN TRIZEPS FALTIG, ICH KLOPF MIR GLEICH NEN WOLF AM SCHENKEL! WAS FÜR EIN BRÜLLER! WAS FÜR EIN SENSBIBLER ULK! Da schaut ja sogar Mario Barth neidisch in den Kessel und wundert sich, wie man so eine Scheiße aus der Buchstabensuppe zaubern kann! Und WAS, liebe FREUNDE, WAS, liebe Nutznießer schriftlich verarbeiteter Solidaritätsentgleisungen, WAS SAGT MAN DENN ZU SOWAS? VOR GERICHT? NIX. Machste NIX! Und was sagste der Betroffenen, die dich danach, außerhalb des Gerichtssaals fragt, wie der Richter DAS denn meinte? JA, WIE MEINTE EUER EHREN DAS? Da schmilzt dir dein Almangesicht, wie 100 Teelichter zur Wohnzimmerbeheizung im Putinwinter '22!
TJA! WÄRSTE MAL NICHT NACH DEUTSCHLAND GEKOMMEN! WAS WÄHLSTE AUCH NEN BERUF WO DU MIT MENSCHEN ZU TUN HAST? WARUM HASTE NICHT WAS ORDENTLICHES GELERNT, WAS MIT STECKDOSEN ODER MAUERN ODER SO? HÖR DOCH EINFACH AUF SOCIAL MEDIA ZU BENUTZEN! Dann kann dich auch keiner STALKEN! ZACK, PROBLEM GELÖST! HAHA! LUSTIG! Lus-TIG! Wie jetzt, du bist BEUNRUHIGT, weil jemand mit eindeutigen Kontakten zu korrupten Stellen und Behörden in deinem Heimatland, jemand der einer Organisation angehört, die für ANSCHLÄGE mit TOTEN verantwortlich ist, einer Organisation die in deiner Heimat JEDER kennt, wie hier die NSU, korrekte Hintergrundinfos über dich und deine Familie liefern kann?! STELL DICH NICHT SO AN! WAS SOLL DENN PASSIEREN? DASS SIE ERMORDET ODER BEDROHT WERDEN? Naja gut, kann schon sein, aber MEINE GÜTE, SCHWAMM DRÜBER! IST HALT INTERNETZ!
Übrigens hat sich da bis heute nichts Neues getan. Es verläuft im Nichts. Zumindest ist die Website nach wiederholten, gebündelten Hinweisen von weiteren Kollegen und Bekannten offline genommen worden. Man muss halt als Privatmensch handeln, wenn die Behörden sich im Neuland nicht die Finger klemmen wollen.
Ich habe vielleicht viele Worte gefunden, um einige wenige Worte ins Licht kultureller Engstirnigkeit zu rücken. Aber ich habe auch viele Hirnzellen dabei verloren, das Ganze nochmal Revue passieren zu lassen. Denn wenn man zu sehr daran denkt, wird man noch bekloppt. Ich glaube, ich werd Richter.
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