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Stellt euch Gitarrengezupfe vor. Geschichtenzeit. Wir leiten eine Story ein. Folkig. Denn ich möchte euch eine Geschichte erzÀhlen, wenn auch nicht musikalisch. Und trotzdem ist es ein klassisches Thema.
Aber es geht im Folgenden nicht um Baumwollaugen-Josef. Oder Jesse James. Oder Kupferkessel-Mike. Oder Canyon-Wilhelm. Nein, ich möchte den Protagonisten dieser Story gern MS-Martin nennen. Und nein, es handelt sich nicht um eine nautische Geschichte, wie das MS suggerieren mag. Es handelt sich um eine eher traurige, biografische ErzĂ€hlung. Denn ich meine MS als bekannte AbkĂŒrzung fĂŒr Multiple Sklerose. Aber beginnen wir am Anfang. Mit dem Refrain:
Martin, oh Martin, ne schwere Krankheit traf ihn
Martin, oh Martin, Martin spielt verrĂŒckt
Martin, oh Martin, du 'glaubst' nicht an Schulmedizin
Martin, schau nur wie der Schnitter seine Sense zĂŒckt
Ich kenne Martin aus der Schulzeit. Ein stĂ€mmiger und ruhiger Kerl. Der obligatorische BraunbĂ€r, der brummig wirkt, aber sich als freundlicher Typ entpuppt, wenn man ihn kennenlernt. Martin ist nach der Schule ein bisschen versackt. Zwei Ausbildungen abgebrochen um am Ende ĂŒber Vitamin B im Betrieb seines Opas gelandet. Eigenbrötlerisch kann man ihn nicht wirklich nennen, aber es war immer irgendwie klar, dass Martin gut klarkommt, wenn er allein ist. Und durch die Arbeit im Familienbetrieb mit nur wenigen, fĂŒr ihn neuen Gesichtern, kam er gut zurecht. Das Leben schreibt gern Geschichten von gegenseitiger Entfremdung und so war es auch mit Martin. Der Freundeskreis aus Schulzeiten zerstreute sich. Studium hier, Ausbildung da, irgendwer macht den Anfang und grĂŒndet verhĂ€ltnismĂ€Ăig frĂŒh schon eine eigene Familie - ihr kennt das. Haben wir alle so erlebt.
Irgendwann beschrĂ€nkte sich mein Kontakt zu Martin nur noch auf das gegenseitige Folgen bei Facebook. Kein Nachrichtenwechsel. Nur ab und an Mal in die Timeline schauen. Und vor etwas weniger als einem Jahrzehnt bemerkte ich schnell, dass Martin gefallen daran gefunden hatte, sich, belegt durch entsprechendes sozialnetzwerkliches Teilen mit einschlĂ€gigen ZustimmungsĂ€uĂerungen, an Neurechten Blogs zu verlustieren. Zustimmend, nicht kritisch. Das Kommentieren von BeitrĂ€gen von Henryk M. Broder und Konsorten. Irgendwann AfD. Und eigene Ăberlegungen. Nicht parolenartig. Eben Martin. Ein Typ, von dem man sagte: Er spricht wenig, aber wenn er sich mal Ă€uĂert, dann ist es immer auf den Punkt gebracht und wohlĂŒberlegt und sowieso nur dann, wenn er etwas qualifiziertes beitragen kann!
Und Martin hatte sich inhaltlich qualifiziert. Durch LektĂŒre ĂŒber LektĂŒre von grauzonigen, semi-intellektuellen Quellen. Nein, Martin hatte schon immer Köpfchen! Was er dort las, das gab er nicht einfach nur wieder. Er dachte mit. Und irgendwann schwadronierte Martin auf Facebook auch vom Ethnopluralismus und Ă€hnlichen braunen Utopien, die einschlĂ€gigen Rassenromantikern die Lösung aller Probleme verspricht. Es wurde deutlich, dass er den Boden zur RealitĂ€t immer mehr von sich fort strampelte, wie ein Ertrinkender, der den Beckenboden verzweifelt mit den Zehen sucht und sich im ĂŒberfĂŒllten Freibad trotzdem nicht traut, um Hilfe zu rufen. Es könnte ja ein böser AuslĂ€nder eine seiner SchlĂ€gereien unterbrechen, um ihn zu retten.
Da entschloss ich mich, Martin nicht weiter zu folgen und blockierte ihn kommentarlos. Hat er offenbar nie gemerkt, oder es hat ihn nicht interessiert. Und nun, vor nicht allzu langer Zeit, traf ich Martin persönlich. Durch Zufall im gemeinsamen Heimatort.
Martin sah wirklich beschissen aus. Er ging auf KrĂŒcken, wie man so sagt. Wir unterhielten uns ein wenig, zufĂ€llig an der StraĂe vor der Kita, die wir beide besucht hatten. Und Martin berichtete mir von seiner MS Diagnose, die er vor einer ganzen Weile bekommen hatte. Von seiner - wie er es betonte - "MS" ... "DiAgNosE". ZunĂ€chst erzĂ€hlte ich, dass ich bereits ĂŒberraschend viele Menschen kennengelernt habe, die an MS erkrankt sind und die meisten davon fĂŒhren ein völlig normales Leben. Ich sagte, dass ich kein Experte oder Mediziner sei, aber offenbar könnte man dieser super fiesen Krankheit mittlerweile medikamentös und mit Bewegungstherapien sehr gut die Stirn bieten. Ich fragte, wie es denn diesbezĂŒglich bei ihm stĂŒnde.
Und nun kommen wir erneut zum Refrain. Die Gitarre wird gezupft (Hannes Wader betritt die BĂŒhne), im Hintergrund gesellt sich ein hibbeliges Banjo-Riff dazu.
Martin, oh Martin, ne schwere Krankheit traf ihn
Martin, oh Martin, Martin spielt verrĂŒckt
Martin, oh Martin, du 'glaubst' nicht an Schulmedizin
Martin, schau nur wie der Schnitter seine Sense zĂŒckt
Wir gehen in die nĂ€chste Strophe ĂŒber. Denn unser lieber Martin vertraut nicht auf die Ărzte. Man werde da wenn ĂŒberhaupt mit dem Gift der Pharmakonzerne vollgepumpt. Die Ărzte verdienen ja nur an den Rezepten. Und ĂŒberhaupt hat Martin eine ganz eigene Theorie: Vorausgesetzt die Diagnose ist ĂBERHAUPT korrekt, dann hat er diese fiese Krankheit DEFINITIV durch die Impfungen seiner Kindheit bekommen. Seine Eltern wussten es ja nicht besser. Damals konnte man sich ja auch noch nicht so gut INFORMIEREN wie heute. Was da alles DRIN IST in den Impfungen! Was da in DIE KINDER gepumpt wird! Ganz klar: WENN er was hat, dann sind die IMPFUNGEN schuld.
Ich klinkte mich mental allmĂ€hlich aus dem GesprĂ€ch aus, auch wenn Martin noch eifrig vor sich hin tiradierte. Mit einer uninspirierten Ausrede merkte ich dann schon einen fingierten Termin an und unterbrach ihn letztlich bei irgendwelchen Eskapaden ĂŒber Russland mit einem schmatzigen Oberschenkel-"So!" und zog die Rucksackriemen strammer.
"War schön dich Mal wieder getroffen zu haben, Martin. Ich mach mir aber echt Sorgen um dich, probier die verschriebenen Medikamente doch einfach Mal aus. Wir sind doch eh schon alle vergiftet und verseucht von den Chemtrails. Da machen ein paar Tabletten keinen Unterschied."
Wo du Tabletten sagst, hast du schon Mal was von Bilderbergern gehört?
"Ciao Martin."
Martin, oh Martin, ne schwere Krankheit traf ihn
Martin, oh Martin, dein Leben geht bergab
Martin, oh Martin, du 'glaubst' nicht an Schulmedizin
Martin, lieber Martin ich hab deine ScheiĂe satt
Schlussakkord.
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