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[TIRADE] Der Erdbebenspender
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Geruchsbrot is in TIRADE
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Das Setting: Betonbrachialbauwerk. Von außen karg, in solch trostlosen Pastellfarben dahinsiechend, das selbst die Farbtöne der Kostümierungen der Piraten aus den Pippi Langstrumpf-Filmen selbige als farbenfrohen Jecken erstrahlen lassen. Der Himmel grau. Nieselregen. Eine Innenstadt. Autolärm. Hupen. Schreie. Wir begeben uns durch den Haupteingang des Verwaltungsbunkers. Vorbei an der Schlange am Infoschalter, hinauf, mit dem Aufzug ins vierte Obergeschoss. Dann links halten.

Ein Büroflur, so elendig lang dass man das Ende kaum noch erkennen kann; es versinkt in diesigem Dunst, fast wie der Horizont unter freiem Himmel. Teppichboden. Natürlich Teppich. Wir folgen dem Flur und biegen nach gefühlt 10 Minuten nochmal nach links ab. Bis dato haben wir abgewetzte Holzstühle passiert, auf denen erschöpfte Menschen warten. Auf dem Teppich plattgelatschte Zettel aus dem Nummernautomaten. Vertrocknete Topfpflanzen. Ständer für Flyer und Infomaterial, dass sowieso nie jemand mitnimmt. Wenn man hier genau hinschaut, entdeckt man irgendwo unten in den Stapeln sicherlich noch Infobroschüren zu Willy Brandts Kanzlerkandidatur.

Den gähnend langen Flur entlang gibt es die einen oder anderen Premiumbüros. Premium, weil sie zu Organisationseinheiten gehören, in denen man dem Klichée des öffentlichen Dienstes frönen kann. Man hört hinter den verschlossenen Türen gröhlendes lachen, röchelnde Kaffeemaschinen, humoriges Getuschel. Es sind die beneidenswerten Kollegen, die ein überschaubares Arbeitspensum und damit Spaß bei der Arbeit haben. Aber zurück zum Wesentlichen. Wir sind am dunstigen Ende des Fluren angekommen. Drehten wir uns um, würden wir den Aufzug nicht mehr sehen. Auch er wäre in der Ferne verschwunden. Fünfte Tür links.

Hier sitzt der Protagonist an seinem Arbeitsplatz. Es ist Montag. Mein Telefon klingelt mal wieder. Ich räume Papiere beiseite um den Hörer abnehmen zu können. Akten fleddern auseinander und sinken lawinenartig zu Boden. Ich fluche und nehme das Gespräch an. "Ja Hallo, falls gleich was reinflattert. Hat sich eben ein Kunde über mich beschwert, vielleicht kommt da ja was", heißt es am anderen Ende der Leitung. Der Kollege ist abgebrüht und unbesorgt. Er wollte mich nur vorher informieren. Trotzdem bin ich nicht klüger als vorher. "Der meldet sich doch sowieso nicht", beurteile ich die Situation fachgerecht, ohne zu wissen was vorgefallen ist. "Jaja, schaun wir mal", würgt mein Kollege mich ab und beendet das Gespräch. Ich sammle den Papierkram vom Boden, komme dabei versehentlich an meinen (privat mitgebrachten) Bluetooth-Speaker und kappe die Verbindung zu meinem (privat mitgebrachten) Handy, sodass die bisher leise im Hintergrund dahinsäuselnden Entgeltmotivationsklänge osteuropäischen technischen Death Metals verstummen. "Maaaan", entfährt es mir, ich schmeiße die Papiere auf den Schreibtisch, fummel nun noch am Speaker herum und ersticke endgültig im Chaos, als ein Windzug das Kippfenster krachend zuballert und ich vor Schreck meine Kaffeetasse (privat mitgebracht) anstoße. Ein Schluck der braunen Plörre schwappt auf meinen Kalender. "MAAAAAAAAAAAAAN!!!", stöhne ich noch lauter.

Natürlich klopft es jetzt noch an der Tür (nicht privat mitgebracht, die war schon da). "Moment!", rufe ich und versuche meinen Arbeitsplatz halbwegs auf Vordermann zu löten. Auch hier gibt es im öffentlichen Dienst übrigens Premiumarbeitsplätze. Nämlich solche, die ganz selten bis absolut niemals Kundschaft aus der Bürgerschaft haben. Wenn nur Kolleginnen und Kollegen sehen, dass man im eigenen Dreck und der eigenen Unorganisiertheit und Überforderung verkommt, ist das nicht so schlimm. Denn das geht allen so. Aber nach außen hin geht nichts über eine wohldurchdachte Eindruckskontrolle. Das Triumvirat "Tacker, Locher, Tesarolle" im eleganten Standortdreiklang sofort sichtbar auf dem Schreibtisch platziert signalisiert den steuerzahlenden Mitmenschen "Oh, seht nur! Welch strukturierte Person! Jaa, hier wird noch richtig deutsch gearbeitet! Alles seine Ordnung!". Und wenn es nur das ist - das kriegt man hin. Also ordne ich das Dreigespann noch schnell, schmeiße alle Papiere und Vorgänge auf einen einzigen großen Stapel und puste Staub vom Stempelkarussel, um endlich "Herein!" zu rufen.

Ein Herr mittleren Alters tritt ein. Jakob Wolfshaut prüft am ganzen Körper aus. Winziger Rucksack mit Regenüberzug in Neongelb lässt Schlüsse auf eine Vorliebe des Herren für Mobilität durch muskelbetriebene Zweiräder zu. Das Gesicht ist hart und vergrämt, ein bisschen wie Käptn Iglo nach 5 Grog. "Guten Tag, nehmen Sie gern Platz", ich deute auf den freien Stuhl vor meinem Schreibtisch. "Kaffee?"

"Ne danke." (Der Kaffee ist privat mitgebracht, die Maschine auch)

"Was kann ich für Sie tun?"

"Ich war eben bei nem Mitarbeiter von Ihnen. Will mich beschweren. Bin ich bei Ihnen richtig?"

"Ja, sicher, legen Sie los. Was ist passiert?"

"Also ich hab gehört dass bei Ihnen auch die Abgabe von Spenden wegen Erdbeben in der Türkei koordiniert wird... oh, das ist aber mal ein sauberer Schreibtisch", setzt der Herr an und deutet auf meinen Tacker-Locher-Tesa-Täuschkörper.

"Naja geht so, man tut sein Bestes", relativiere ich in falscher Bescheidenheit lächelnd.

"Achso also ja die Spenden. So also da hat Ihr Kollege gesagt das ich mich an eine bestimmte Stelle wenden kann, die aber wöchentlich wechselt."

"Ja, das ist richtig."

"Und dann sagte er das dort alle BürgerINNEN vorbeischauen können."

"Öh, ja genau."

"JA ABER DA FÜHL ICH MICH NICHT MIT ANGESPROCHEN!" Der gute Herr wird von jetzt auf gleich ziemlich laut und läuft rot an. Ich bereue bereits, ihm überhaupt einen Kaffee angeboten zu haben.

"Äh, wie bitte?!"

"JA WAS BIN ICH DENN? WAS BIN ICH DENN?! BIN ICH EIN BÜRGER IN? IN? IN? BÜRGER INNEN????"

"Äh ich glaube Sie sind ein ... verstehen sich als Mann?!"

"AHA! AHA! DA HABEN WIRS JA! IMMER DIESES GENDERN! WAS SOLL DAS DENN!!"

"Entschuldigung, aber wir sind angehalten eine inklusive Sprache zu verwenden, Sie müssen sich ja auch gar nicht angesprochen füh-" ('wir sind angehalten' - ein bisschen Rollendistanz. Sich selbst als Person von der Rolle, die man situativ grad einnimmt, trennen. Hilft manchmal. Hätte ich mir hier sparen können)

"ICH BIN ABER KEIN BÜRGER IN! DAS BIN ICH JA GAR NICHT! DAS UMFASST MICH JA GAR NICHT! WAS SOLL DAS DENN!"

"Äh ja okay, Sie sind ein Bürger, keine Frage. Aber Sie wollten doch eigentlich wegen der Spendenaktion..."

"WISSEN SIE WAS? WISSEN SIE WAS? ICH SAG IHNEN MAL WAS! WISSEN SIE WAS??"

"Nein?"

"ICH HAB DRAUßEN! ALSO DRAUßEN STEHT EIN GANZER BULLI VOLL MIT SPENDEN! FÜR DAS ERDBEBEN! ALSO DIE TÜRKEI UND SO! DAS WOLLTE ICH EINFACH NUR ABGEBEN HIER! SEIT JAAAAAHREN HÖRT MAN IMMER NUR DASS DEUTSCHLAND ZIVILCOURAGE BRAUCHT! UND DANN MACHT MAN DAS! UND DANN SOWAS! UND DANN SOWAS! MIT FÜßEN GETRETEN!"

Zu meiner heiligen Dreifaltigkeit der Büroarbeitsmittel gehört noch ein naher Verwandter. Die Schere. Die muss laut Dienstvorschrift (ja, wirklich) bei Nichtverwendung in einer Schublade verwahrt werden. Auch Sicherheitsgründen (ja, wirklich). Sie liegt in meiner Reichweite auf dem Schreibtisch. Und in seiner. Ich greife sie beiläufig und lasse sie ihn einer Schublade verschwinden.

"Ja aber mein Kollege hat Ihnen doch schon mitgeteilt wie das mit den Spenden funktioniert, es ist auch eine wirklich ganz tolle Sache dass Sie sich einbringen möchten."

"DARUM GEHTS DOCH GAR NICHT! ES GEHT JA DARUM WIE HIER MIT EINEM UMGEGANGEN WIRD! UM DAS WIIIEEE! WERT-SCHÄTZ-UNG!"

"Es tut mir Leid, dass Sie sich missverstanden fühlen, aber-"

"WISSEN SIE WAS?! ES REICHT MIR JETZT! WISSEN SIE WAS?"

"Nein?"

"ICH GEH MICH JETZT BESCHWEREN! ICH BESCHWER MICH ÜBER SIE! ÜBER DEN GANZEN LADEN HIER! ARMSELIG! ARMSELIG! TRAURIG! WO KANN ICH MICH BESCHWEREN!?"

"Äh, überall?"

"WIE ÜBERALL?!"

"Ja irgendwo. Unten. Eingangshalle oder so. Oder schriftlich."

"WAS SOLL DAS MIT DIESEM GENDERN?! MAN MAN MAN! ICH MACH DAS JETZT! UND MIT DEN SPENDEN! DAS ÜBERLEG ICH MIR NOCHMAL! TSCHÜSS!"

Der Mann steht auf, schiebt den Stuhl überraschend langsam wieder unter meinen Schreibtisch und verlässt relativ ruhig mein Büro, ohne sich nochmal umzudrehen oder etwas zu sagen.

Ich gewöhne mich an sowas nicht. Ist ja nicht das erste Mal. Aber ich versuche die Leute zu verstehen. Wie wird man so? Was ist denn bei denen los? Mir tut es jedes Mal schon fast ein wenig Leid. Klar, dazwischen frage ich mich auch WER SOLCHEN MENSCHEN INS GEHIRN GESCHISSEN HAT?! Wo ist denn die VERDRAHTUNG IN DER RÜBE falsch gelaufen? Man kommt für eine gute Aktion vorbei und rastet dann komplett aus wegen etwas, dass überhaupt nichts damit zu tun hat und das schlichtweg ÜBERHAUPT NICHTS NEGATIVES ist?! Und was kann ich dafür, wenn er jetzt seine Spenden nicht abgibt? Glaubt er, dass er dafür ein verschissenes Bundesverdienstkreuz bekommt?!

Und ganz unter uns - in ALLEN Bereichen, die Spenden annehmen ist es allseits bekannt, dass sowas SEHR GERN auch mal verwendet wird, um den eigenen SPERRMÜLL loszuwerden. Und dafür wird dann gern auch mal eine Lobeshymne auf die Selbstlosigkeit verlangt! Klar, bedürftige Menschen freuen sich BESTIMMT über dein zerkratztes, speckiges, verschimmeltes Sofa. Oder dein Bettgestell ohne Lattenrost. Oder deine 20 Jahre alte Matratze mit fleckenförmigen Zeugnissen diverser natürlicher Körperaktivitäten. Ich möchte euch etwas mit auf den Weg geben. Denn mir geht es gar nicht mal darum, eine Geschichte wie diese zum Zentrum meiner schriftlichen Echauffier-Versuche zu machen. Ich hoffe eher, dass sich die eine oder andere, mitlesende Person darauf einlassen kann, hin und wieder einfach mal ein Lächeln zu schenken. Seit nett und freundlich zu den Menschen, die ihre Entgeltabenteuer bewältigen, indem sie irgendwas für euch tun. An der Kasse. In Bus und Bahn. Am Telefon. Wer zuerst das Arschloch ist, verliert den Anspruch auf eure Freundlichkeit. Keine Frage. Und man hat immer mal wieder Spezialisten dabei, die dafür leben, anderen Ärger zu machen. Wie der Herr im Jakob Wolfspelz. Das Schaf im Wolfspelz. Aber vielleicht wurde ja auch die Dame, die euch an der Kasse am LIDL bedient, 15 Minuten zuvor angebrüllt.

In John Nivens Roman "Gott bewahre" (privat mitgebracht), in dem Gott seinen Sohn Jesus mal wieder auf die Erde runterschickt, weil hier alles beschissen läuft (sehr zu Jesus Missfallen, weil er in seiner Freizeit gern mit Jimi Hendrix jammt und sich Bubatz gönnt), regt sich der Chef im Himmel über eines ganz besonders auf: Moses der Halunke hat seine Gebote nämlich ein bisschen ausgeschmückt. Eigentlich geht es Gott nur um eines - "Seid lieb!" Und auch wenn man es hält wie ich, und mit religiösem Glauben so gar nichts anfangen kann, ist dieses simplifizierte Gebot doch eigentlich eine schöne Richtschnur fürs Leben. Lasst uns lieb sein, ihr Schweine.

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